Es gab einmal eine Generation von Omas, die heute nahezu ausgestorben ist. Diese typische Oma trug immer einen Rock – egal zu welcher Jahreszeit. Je nach Witterung war sie mit einem Mantel und einem Kopftuch ausgestattet, darunter trug sie stets eine Strumpfhose. Dazu eine praktische Tasche, die vermutlich die halbe Welt beinhaltete. Diese Damen waren die Seele des Marktes und die Hauptkundinnen meiner kleinen Strumpfhosen-Ecke.
Im Frühjahr kauften sie bei mir 30 DEN, im Herbst 60 DEN und im Winter dicke Wollstrumpfhosen. Die Farben waren immer gleich: „Diamant“ – ein braungrauer Farbton – oder „Perle“ – ein warmes Braun. Die Strumpfhosen waren für diese Damen nicht nur ein Kleidungsstück, sondern ein Statement. Sie wussten genau, was sie wollten, und ihre Bedürfnisse waren klar: Die Strumpfhosen mussten gut sitzen, keine Kompromisse.
Strumpfhosen verkauften wir bis in die 2010er Jahre in enormen Mengen. Es war eine kleine Wissenschaft für sich: Es gab drei verschiedene Beinlängen und zwei unterschiedliche Leibteile – normalweit und mit „Doppelzwickel“, speziell für die etwas kräftigeren Damen. Das allgemeine Problem, über das sich viele dieser Omas beklagten, war, dass die Beine bei anderen Anbietern immer viel zu lang waren und der Leib zu schmal. Die typische Oma war eben klein und rundlich – eine Kombination, die in der Strumpfhosen-Industrie anscheinend oft übersehen wurde.
Ich hatte schnell einen Stein im Brett bei diesen Damen, weil ich ihnen endlich passende Strumpfhosen verkaufte. Sie schätzten meine Beratung und kamen oft gezielt zu mir. „Der junge Mann mit den komischen langen Haaren kennt meine Größe!“ hieß es oft, denn damals trug ich noch Rastalocken. Es war eine besondere Zeit, in der ich viel über Kundenservice und den persönlichen Kontakt lernte.
Doch irgendwann, es muss so um 2010 gewesen sein, begann sich alles zu ändern. Nach und nach wurden es immer weniger dieser sympathischen alten Damen, mit ihrem unverwechselbaren Stil, ihrer Herzlichkeit und ihrer festen Meinung darüber, wie eine Strumpfhose zu sitzen hatte. Die Nachfrage brach langsam ein, und bis 2015 waren sie nahezu verschwunden. Es war ein schleichender Prozess, der dennoch ein tiefes Loch hinterließ.
Heute verkaufe ich keine Strumpfhosen mehr. Sie ergeben auch nur mit einem Rock wirklich Sinn, und Röcke sieht man kaum noch. Keine Frau trägt mehr Rock. Und doch fehlt mir diese klassische Oma. Ihre Besuche waren eine Bereicherung, ihre Gespräche herzerwärmend, ihre Treue unbezahlbar.
Ich vermisse sie – die kleinen, pragmatischen Damen mit Rock und Kopftuch, die genau wussten, was sie wollten und dabei stets bodenständig blieben. Es ist seltsam, wie diese klassische Art einfach verschwinden konnte, als hätte sich die Welt unbemerkt weitergedreht und sie zurückgelassen.